Raika Lana

Schweiz führt bei Psychiaterdichte weltweit – Italien setzt auf ambulante Versorgung

Psychische Gesundheitsversorgung in Europa: Unterschiedliche Modelle, ähnliche Herausforderungen

by Radio Sonnenschein
Christian Korbel, Präsident der österreichischen Psychiatriegesellschaft, Thomas Pollmächer, Präsident der deutschen Fachgesellschaft,  Fulvia Rota, seine Schweizer Kollegin, Pierre Michel Llorca, ihren französischen Kollegen und Roger Pycha

v.r.: Christian Korbel, Präsident der österreichischen Psychiatriegesellschaft, Thomas Pollmächer, Präsident der deutschen Fachgesellschaft, Fulvia Rota, seine Schweizer Kollegin, Pierre Michel Llorca, ihren französischen Kollegen und Roger Pycha

Schweiz führt bei Psychiaterdichte weltweit – Italien setzt auf ambulante Versorgung

Die Schweiz hat die höchste Psychiaterdichte der Welt, mit etwa 50 Fachärzten pro 10.000 Einwohner. Zum Vergleich: In Frankreich sind es 23, in Deutschland 22, in Österreich 19, in Italien 17 und in Bulgarien nur 8.

Jährlich treffen sich die Schweizer Psychiater in Bern zu ihrem nationalen Kongress, um über Verbesserungen in der Versorgung zu beraten. Am 12. September 2024 stand das Thema „Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Berufsgruppen“ im Mittelpunkt.

Dazu wurden die Präsidenten der Psychiatriegesellschaften aus Österreich, Deutschland und Frankreich eingeladen, während Italien durch Dr. Roger Pycha, Primar der Psychiatrie in Brixen, vertreten war. Die Diskussion verdeutlichte die unterschiedlichen Versorgungsmodelle in Europa und das Potenzial, voneinander zu lernen.

Überall steigt der Bedarf an psychiatrischer Behandlung, besonders seit der Coronakrise. Die Anzahl der Patienten nahm durchschnittlich um 20 bis 30 Prozent zu, insbesondere unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen, wobei Depressionen, Angst- und Essstörungen am häufigsten sind. Zwei Jahre nach der Krise sind diese Störungen noch immer nicht signifikant zurückgegangen.

Die Schweiz sucht nach Lösungen, um den Mangel an Psychiatern und Kinderpsychiatern zu beheben. In Frankreich beschreitet man bereits neue Wege: Pfleger dürfen dort Psychopharmaka verschreiben und verabreichen, was die Ärzte entlastet und den Zugang zur Behandlung verbessert.

Besondere Aufmerksamkeit erhielt das italienische Modell, das auch in Österreich und Deutschland teils als Vorbild dient. In Italien führte die Psychiatriereform von Franco Basaglia 1987 zu einem radikalen Umdenken: Krankenhausaufenthalte sind nur noch in extremen Fällen und für kurze Zeit möglich.

Mit nur 0,97 Psychiatriebetten pro 10.000 Einwohner (in Südtirol 1,4) liegt Italien weit unter der Empfehlung der WHO von 5 Betten. Stattdessen setzt man stark auf ambulante Versorgung. In den Zentren für psychische Gesundheit arbeiten Fachärzte, Psychologen, Pfleger und andere Fachkräfte eng zusammen, um Patienten in ihrem sozialen Umfeld zu betreuen.

Italienische Psychiater delegieren viele Aufgaben an andere Berufsgruppen und fungieren mehr als Koordinatoren.
Zudem dauert die Ausbildung dort nur 4 Jahre, was dem Land trotz niedriger Psychiaterdichte keinen Fachkräftemangel beschert. Die Schweizer befürchten allerdings, dass das italienische Modell hierarchische Schwierigkeiten mit sich bringen könnte.

Dennoch ist das italienische System nicht ohne Schattenseiten. Besonders Familien von psychisch Kranken sind stark belastet. Laut einer Studie fühlen sich 97% der Angehörigen von Schizophrenie-Patienten in Italien alleingelassen, 83% sind depressiv, 73% haben ihre Hobbys aufgegeben, und 68% machen keinen Urlaub mehr. Dies verdeutlicht die Herausforderungen eines Systems, das strikt „ambulant vor stationär“ lebt.

 

 

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